Tagung der UOKG zum Kommunismus, Berlin, 5. bis 7. November 2004

Tagung der UOKG... Brief S. Reiprich an den Vorstand

AN DEN VORSTAND DER UOKG

Liebe Angelika,

ich fasse es nicht: "DER KOMMUNISMUS - EINE GESCHEITERTE GESELLSCHAFTSORDNUNG ?" - wie kann man überhaupt eine solche Frage stellen, "15 Jahre nach der Friedlichen Revolution"?

Als ich den STACHELDRAHT Nr. 7/2004 sah, habe ich mir die Augen gerieben und wollte erst an einen Witz glauben. Aber die Frage scheint nicht nur - und das wäre schlimm genug! - rhetorisch gemeint gewesen zu sein. Denn auf dem Titelblatt wird man auch gleich noch informiert: "Zum ersten Mal lädt die UOKG zu einem Streitgespräch mit marxistisch-leninistischen Theoretikern ein"! Ja Herrgottnochmal, warum laden denn die Opferverbände der Naziverfolgten nicht zu einem Streitgespräch mit nationalsozialistischen Theoretikern zur Frage ein, ob der Faschismus als Gesellschaftsordnung gescheitert sei? Schließlich sind doch seine Resultate vom ökonomischen Standpunkt gesehen in Spanien und in Chile gar nicht so übel gewesen, jedenfalls, wie selbst Reformkommunisten wie Imre Pozgay zugaben, besser als im Realsozialismus! Und die Stellung der Frau war in NS-Deutschland wirklich besser, als in der demokratischen Schweiz, wie der israelische Historiker Martin M. Creveld gerade nachgewiesen hat, nicht wahr?

Aber im Ernst: hat der Vorstand der UOKG wirklich eine Rolle rückwärts gemacht in die 80er Jahre?

Muß angesichts von 100 Millionen Toten, ökonomischen und ökologischen Verwüstungen ohne Beispiel, hundertmillionenfach gebrochenen Biographien und Jahre nach Solschenizyns "Archipel Gulag", dem "Gescheiterten Experiment" von Brzezinski (1988!), Furets "Ende der Illusionen" oder "Bukowskis Abrechnung mit der UdSSR" u.v.a.m. wirklich noch mit linksreaktionären Ideologen wie Wilfriede Otto, "PDS", und Thomas Klein ernsthaft diskutiert werden? Spätestens seit einem halben Jahrhundert, seit Popper, weiß man doch, daß "marxistisch-leninistisch" und "Theoretiker" einen Widerspruch in sich darstellt, denn Theoretiker zeichnen sich im Gegensatz zu Ideologen dadurch aus, daß sie die Theorie an der Wirklichkeit messen, also verifizieren oder falsifizieren. Und zwar nicht erst nach der Katastrophe!

Natürlich kann man immer wieder die dümmliche Frage stellen, ob "die kommunistische Ideologie am Ende (ist)?", wie Ihr es für eine Podiumsdiskussion vorgesehen habt, genauso, wie man fragen kann, ob der Pockenvirus am Ende ist - Natürlich nicht, nicht zu 100 Prozent! Aber man hat den Ausbruch der Pocken sei einem Vierteljahrhundert zu verhindern gewußt. Sollte man statt dessen nicht lieber einen Kongreß darüber veranstalten, woher die geistige Immunschwäche demokratischer Gesellschaften gegenüber dem totalitären Wahn kommt?

Die Frage nach dem Scheitern des Kommunismus ist längst vom Volk beantwortet worden, unter anderem so:

Anfrage an den Sender Jerewan: Ist der Marxismus-Leninismus eine Wissenschaft?
Antwort: Im Prinzip ja, aber Wissenschaftler hätten ihn zuerst an Ratten ausprobiert.

Mit traurigen Grüßen,

Siegfried

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Nachrichtlich an Horst Schüler, Angelika Barbe, Harald Strunz, Roland Brauckmann, Rainer Wagner, Sybille Plog, Redaktion DER STACHELDRAHT

Und wie ging es weiter?

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