Seit 1992 wird in der Politik, in den Medien, in zeithistorischen Untersuchungen, in den Kirchen kontrovers über die Bewertung dieser bis 1992 strikt geheim gehaltenen Kontakte debattiert. Die Vorwürfe sind bekannt und in Veröffentlichungen zugänglich. Die Kritiker Stolpes, die von der
kirchenrechtlichen Illegalität und von der politischen Illegitimität dieser Stasikontakte ausgehen, haben Stolpe deswegen als "IM" bezeichnet, vulgär den Begriff "Spitzel" verwendet, oder diese Zusammenarbeit umschreibend "im Dienste der Staatsicherheit" genannt. Diese Debatte kann vom
Bundesverfassungsgericht nicht mehr zurückgeholt werden. Äußerungen, Schriften, Bücher müsste im Orwellschen Ausmaß aus dem Verkehr gezogen werden, das Zitationsrecht eingeschränkt und jede politische Äußerung durchleuchtet werden.
Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass im Interesse des Persönlichkeitsrechtes von Stolpe ein sich kritisch Äußernder bei einer künftigen Meinungsäußerung offen legen muss, dass eine gesicherte
Tatsachengrundlage für die von ihm aufgestellte Tatsachenbehauptung fehlt. Er könnte also sagen: "Stolpe stand im Dienst der Stasi, aber er bestreitet das." Oder er könnte auch erklären: "Stolpe stand im Dienst der Stasi. Aber Lothar Bisky, der selbst mit Stasivorwürfen konfrontiert ist, bestritt dies in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Stolpe-Untersuchungsausschusses im Landtag Brandenburg."
Diese dem Urteil innewohnende Absurdität rührt aus dem völligen Verkennen der politischen und rechtlichen Grundlagen des wiedervereinten Deutschlands.
1989 fand in der DDR eine friedliche Revolution statt, die die Wiedervereinigung ermöglichte. Der von der ostdeutschen Bevölkerung und der Bürgerbewegung bewirkte Umsturz diente auch der Wiederaufrichtung des Rechtes. Die Bürger sollten durch die Offenlegung der Akten der Diktatur in ihr Persönlichkeitsrecht eingesetzt werden. Die Mitarbeiter der Diktatur sollten aus dem öffentlichen politischen Leben zurücktreten. Aus diesem Willen wuchsen die Stasiunterlagenbehörde und die Debatten um die Stasimitarbeit. Die Verfassungsrichter können offenbar die Erfahrung der Abwesenheit des Rechtes in der Diktatur nicht verstehen. Darum ist ihnen auch die befreiende Erfahrung der Wiederaufrichtung des Rechtes durch die demokratische Revolution verschlossen.