Kurras - und was noch? Schleppende Aufarbeitung, Bürgerrechtler bei Personalpolitik der BStU diskriminiert. Archiv

Fuchs vs. Gauck I

Der Leiter des Referates Grundsatzfragen und Chef des Büros der Behördenleitung ließ ein sechsseitiges Dossier über Personen kursieren, die in Magdalena mit Namen genannt werden. - Kein Register zur Vertiefung des Geschichtsverständnisses, denn über Stasi-Opfer wurde ebenso hinweggegangen wie über Personen der Zeitgeschichte. Der Suchfinger rasterte die Fahnen des Buches akribisch nach vorkommenden Behördenmitarbeitern durch. Links die Namen, in der Mitte Seitenzahlen, rechts verkürzte inhaltliche Bezüge und Beziehungen zu Jürgen Fuchs.

"Es ist ein Wer-ist-wer-Schema. Ich habe in meinen Stasi-Akten ganz ähnliche Dokumente gefunden von Gutachter-IM, über meine Bücher, über meine Begegnungen mit anderen", sagte Fuchs im Interview.

Einer seiner Kritikpunkte, der ihn im Januar zum Austritt aus dem Beirat des Bundesbeauftragten bewog, war die Personalpolitik in der Behörde: "Daß plötzlich so viele angepaßte DDR-Bürger in diesen Büros hockten, wo die Stasi-Leute vorher waren, das kam mir schon ein bißchen absurd vor." In einem Interview in der Zeit (2.4.98) antwortete Joachim Gauck: "Hier gab es sicher ein Problem, an das Jürgen Fuchs rührt: Es ging bei der Auswahl der Mitarbeiter zuerst einmal nach der Papierform, und da können Menschen schon leicht herausfallen, die eine weniger gute Ausbildung haben."

Das klingt plausibel. Und doch muß sich Joachim Gauck fragen lassen, ist das Demagogie oder Selbsttäuschung? Ihm persönlich wurde 1990 durch Wolf Biermann und Jürgen Fuchs neben anderen der DDR-Dissident Siegfried Reiprich empfohlen, einst zwangsexmatrikulierter Philosophiestudent, 1981 ausgebürgert und auch im Westen im Zentralen Operativen Vorgang "Weinberg" feindbearbeitet. Ausgezeichnete Noten, Sprachkenntnisse, soziale Kompetenz, die Fähigkeit wissenschaftlich zu arbeiten, brachten dem diplomierten Geophysiker im Januar 1991 dennoch eine Ablehnung ohne Begründung. In einem späteren Gespräch mit Gauck äußerte der seine Verwunderung: Das könne nur an untergeordneten Bürokraten liegen. Er nahm die Bewerbungsmappe wohlwollend an sich. Dann lag der Vorgang auf Eis. Bis Anfang 1997. Reiprich hatte ein frisches und kluges autobiographischen Buch Der verhinderte Dialog. Meine politische Exmatrikulation (Robert-Havemann-Archiv) über die Opposition in den 70er Jahren veröffentlicht. Eine Bürgerrechtlerin hörte am Rande einer Lesung von der seltsamen Geschichte seiner Nichteinstellung und sprach mit Gauck. Der wollte sich mit Reiprich in Verbindung setzen. Das Gespräch steht noch aus. Fragt sich, warum tut sich die Behörde mit dem intelligenten Fundamentalbürgerrechtler so schwer? Weil er west-linke Beschwichtigungspolitik schon vor 1989 kritisiert hatte und aus Protest gegen die Behandlung des Falles Stolpe aus der SPD ausgetreten ist? Weil man ihm viel Mut zur Öffentlichkeit zutraut? Immerhin dauerte es bis ins verflixte 7. Jahr der Behörde, ehe durch Hubertus Knabe eine erste Veröffentlichung zu den Verstrickungen von bis zu 30.000 Westdeutschen in die Machenschaften des MfS erschien.

Offen erklärte Joachim Gauck im Zeit-Interview: "Was wir aber nicht wollen, ist einen - nach welchen Kriterien auch immer definierten - Kern moralisch besonders legitimierter Menschen zusammenführen." Fragt sich: Wer ist "Wir"?

Frischer Wind scheint angeraten in dieser Einrichtung, die mit dem Votum der Bürgerbewegung antrat, das einmalig offengelegte Erbe der Diktatur, Menschenrechtsverletzungen und Verstrickungen transparent zu machen. Gerade diesen mutigen Menschen verdankt die Behörde ihre Existenz. Seit Jahren werden keine Zeitverträge für Forschungsprojekte mehr vergeben. Es liege am fehlenden Geld, verlautet aus der Behörde. Nur daran?

Zurück

Cookie-Einstellungen zurücksetzen