Wurde der DDR-Bürgerrechtler Jürgen Fuchs von der Stasi ermordet? Auch Willy Stoph beigesetzt
Enge Freunde geben Jürgen Fuchs auf dem Heidefriedhof in Berlin das letzte Geleit
(v.l.n.r.: Lukas Beckmann, Siegfried Reiprich, Thomas Auerbach, N.N., Frank Rub, v.r. nicht im Bild Michael Stognienko)
Berlin: Es klang wie ein alttestamentarischer Racheschwur, doch es war nur die Verzweiflung, die aus dem Theologen Matthias Storck sprach. Die Freunde von Jürgen Fuchs würden nicht ruhen, gelobte er am Sarg des Schriftstellers, bis jener furchtbare Verdacht aufgeklärt sei, der Fuchs selbst bis zuletzt umgetrieben hatte, doch noch Opfer einer perfiden Zerstörungsmethode der Stasi geworden zu sein: Siechtum und Tod durch Bestrahlung in der Haftanstalt Berlin-Hohenschönhausen.
Die Spuren, die diesen Verdacht nähren, sind aber nicht von der Hand zu weisen. In Gera hatte man bei der Erstürmung des dortigen Stasi-Knasts offenbar eine Strahlenkanone entdeckt, die aber in den Turbulenzen jener Tage unbemerkt beiseite geschafft werden konnte. In der Chemnitzer Haftanstalt sah der Bürgerrechtler Wolfgang Schatzberg sogar einen Röntgenapparat, versteckt auf seinen Kopf gerichtet. An der Humboldt-Universität gab es Stasi-Forschungen zur Zersetzung und Zerstörung von Menschen mit Hilfe radioaktiver Stoffe. Und vor Jürgen Fuchs starben Rudolf Bahro und Gerulf Pannach an seltenen Krebserkrankungen, die auch Spätfolgen einer solchen lautlosen Tortur gewesen sein können.
Der furchtbare Verdacht und das Entsetzen darüber hielt plötzlich Einzug in die Trauergemeinde auf dem Berliner Heidefriedhof. Wie ein Schauder aus fernen Tagen, wie ein kalter Hauch aus dem Osten, der durch eine versehentlich offengelassene Tür in die Friedhofskapelle wehte. In den südlichen
Westen der Stadt, wo Berlin freundlich und harmlos wird und nichts an die Jahre der Teilung erinnert. Jürgen Fuchs hatte dort vor langem seine Zuflucht gefunden und wollte dort auch begraben sein. So kamen seine Freunde und Weggefährten an einem verregneten Samstag nachmittag an einem Ort zusammen, der wenig mit ihrer gemeinsamen Geschichte zu tun hatte und dem sie doch für einen Moment jene Stimmung verliehen, die an die Friedensgebete vom Herbst 1989 erinnerte. Nicht Rache üben wollen, aber sich treu bleiben, stand ungeschrieben über dem schlichten Fichtensarg von Jürgen Fuchs und verband im Geist noch einmal jene, die sich vor zehn Jahren gegen die Diktatur aufgelehnt hatten.
Sie waren alle gekommen. Katja Havemann, Vera Lengsfeld, Marianne Birthler, Gerd Poppe, Konrad Weiß, Arnold Vaatz, Manfred Wilke, die Freunde aus Jena, aus Greiz und Erfurt. Die Schriftstellerkollegen wie Hans Joachim Schädlich, Ralph Giordano und Wolfgang Hilbig. Ein sichtlich aufgewühlter Joachim Gauck. Rolf Schwanitz für die Bundesregierung. Und dann noch Vaclav Havel, dessen Name auf einer Kranzschleife wehte.
Es seien nicht die Schlechtesten, die sich da versammelt hätten, sagte Wolf Biermann in seiner Trauerrede, die keine traurige war. Wer bekomme schon zu seinem Abschied „einen Saal mit solchen Leuten voll". Der hier tot im Sarg läge, sei immer noch lebendiger, als viele andere es jemals sein würden. Und bei allem Zorn über den frühen Tod sei er froh, daß Fuchs sein Leben so gut gemacht habe.
„Du, laß dich nicht verhärten in dieser harten Zeit" war das berühmte Lied, das Biermann seinem Freund Jürgen Fuchs nach einer bewegenden Schilderung der letzten Stunden am Sterbebett zum Abschied sang. Es war das vertraute Widerstandslied aus alten Tagen. Und für viele in der Trauergemeinde hatte es nichts von seiner Bedeutung verloren. Älter waren sie geworden, manche auch gebeugter als in den Tagen der friedlichen Revolution. Viele Wunden, hatte der Bürgerrechtler Günter Nooke noch tags zuvor formuliert, seien erst nach der Wende geschlagen worden. Aber während er sich mit der CDU-Grundwertekommission nach Cottbus begeben hatte, auf der Suche nach den Normalbiographien der DDR, war der Dresdner Unionspolitiker Arnold Vaatz demonstrativ zur Beerdigung nach Berlin gekommen.
Und während die DDR-Opposition ihren Freund dort unter die Erde brachte, hatte sich zur gleichen Zeit im brandenburgischen Wildau fast unbemerkt auch eine Handvoll alter Genossen eingefunden. Am Grab von Willi Stoph. „Er hatte eben immer die richtigen Freunde und die richtigen Feinde", war Biermanns Epitaph für Jürgen Fuchs. „Und beide, die Feinde wie die Freunde werden ihm treu bleiben." möl
© DIE WELT, 17. 05. 1999
"In Kopfhöhe ausgerichtet", DER SPIEGEL über den möglichen Strahlentod prominenter Dissidenten, Mai 1999