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Zum Tod von Matthias Domaschk - Ungereimtheiten bei SPIEGEL-online
Zum Tod von Matthias Domaschk |
...aus gegebenen Anlaß
von Siegfried Reiprich, 1. Mai 2007
Noch vor der offiziellen Öffnung der Stasiakten durch die
"Gauckbehörde" informierte mich Jürgen Fuchs über
eine brisante Passage in meiner Akte, wir berieten unter vier Augen
darüber. Es ging um den Tod von Matthias Domaschk Jürgen
hatte den Bericht eines Spitzels gefunden, der u.a. auf mich
angesetzt worden war1.
In diesem Bericht vom März 1981, dem Monat vor Matthias´
Tod, bezichtigt der IM „Steiner“ unseren Freund Matz2,
Sympathien für die italienischen Roten Brigaden zu hegen,
dergleichen für die DDR zu erwägen und erweckt den
Eindruck, Matz hätte versucht mich, den „geexten“3
Philosophiestudenten quasi anwerben zu wollen. Aber Reiprich habe
sozusagen von marxistischen Positionen gegen den Terrorismus
argumentiert, während Domaschk es tun würde, wenn er die
Möglichkeit dazu hätte. Matz war drei Wochen später
tot, ich lebte und mir lief ein kalter Schauer über den
Rücken...
Jürgen Fuchs war elektrisiert, das war eine heiße Spur. Ich mußte
ihm aber sagen, daß es so nicht gewesen sei, daß der
Spitzel hier Dichtung und Wahrheit fabriziert habe, wohl, um sich
wichtig zu machen und seinen Judaslohn zu kassieren. Jürgen hat
später in seinem Romanreport „Magdalena“ über
Matthias´ Tod ausführlich geschrieben, diesen Aspekt aber
ausgeklammert4.
Ich war jedoch schon damals, 1991, der Meinung, daß wir hier
vielleicht ein Motiv dafür hätten, daß sie Matz im
Knast „hart angefasst“ haben, und gerade ein solch
pervers-absurder Fehler in der Stasiberichterstattung werfe ein
bezeichnendes Licht auf diesen irrsinnigen Apparat und stelle
womöglich einen besonders bitterbösen Witz der
Zeitgeschichte dar.
Ich habe eine Kopie des Spitzelberichts von „Steiner“ dem
Robert-Havemann-Archiv in Berlin, Prenzlauer Berg, zur Verfügung
gestellt, 1998 sogar Joachim Gauck persönlich eine Kopie in die
Hand gedrückt und auch eine entsprechende Aussage gegenüber
einem Kriminalisten des BKA gemacht. Irgendwie interessierte das
keinen so richtig. 1996 habe ich in meinem Buch „Der
verhinderte Dialog“5 die Geschichte nach bestem Wissen und Gewissen geschildert.
Ungeachtet dessen erschien eine Vielzahl von Publikationen, Filmen und anderen
elektronischen Beiträgen über den Tod von Matthias
Domaschk, die das denkbare Stasi-Motiv vermeintlicher terroristischer
Ambitionen des Opfers ausklammerten. Wollte man die Dinge nicht
verkomplizieren, oder Matthias als reines Opfer vollkommen
unverständlicher Bosheit ikonifizieren, oder hatten die Autoren
und Autorinnen Scheu, die schwierige Frage möglicher Fehler in
Stasiakten aufzuwerfen?
Meines Wissens hat erst im Jahr 2006(?) die Weimarer Ettersbergstiftung in
dem Band „Es kann anders werden“ die auf „Steiners“
Denunziation gestützte Terrorhypothese aufgegriffen6.
Nun hat Claus Christian Malzahn das Buch „Deutschland, Deutschland“
veröffentlicht, seinen Text über Matthias Domaschk für
SPIEGEL ONLINE bearbeitet und am 29.April 2007
veröffentlicht7: TOD IM DDR-KNAST. Dort ist zu lesen:
„1981 bezahlte ein junger Mann seine vermeintliche Sympathie für die
Roten Brigaden Italiens mit dem Leben...
Der Bericht des IM „Klaus Steiner“ vom 10. März 1981 an
seinen Führungsoffizier Roland M. ist der Anfang vom tödlichen
Ende des Matthias Domaschk. ´Steiner´ hat Matz zufällig
bei einem gemeinsamen Freund kennen gelernt, dessen Jenaer Wohnung
renoviert werden musste, einem Pfarrer, der selbst zur
Dissidentenszene gehört. In dem Bericht behauptet Steiner,
Domaschk sei ein Sympathisant der italienischen Terroristen von den
Roten Brigaden. Wörtlich habe Matz zu ihm gesagt: ´Wenn
ich die Möglichkeit hätte, eine solche Gruppe aufzumachen,
würde ich es tun.´ Als Steiners Führungsoffizier das
hört, klingeln bei ihm ´alle Alarmglocken´, denn
Anfang der 80er Jahre ist Jena das Zentrum der Opposition.“
Malzahns Artikel ist gut geschrieben und setzt auch die richtigen Akzente:
„Während die Stasi mit der RAF unter einer Decke steckte,
waren Sympathisanten westlicher linker Organisationen in der DDR hoch
verdächtig“. Aber in dieser Schilderung stimmt etwas
nicht. Die erwähnte Jenaer Wohnung befand sich Am Planetarium 30
im dritten Stock und war meiner Frau Christine und mir als Um- und
Ausbauwohnung zugewiesen worden8
Wir gehörten zwar in der Tat der Dissidentenszene an, ich war
aber kein Pfarrer sondern ein von der Uni geschaßter
Philosophiestudent. Vor allem aber habe ich immer wieder gesagt und
geschrieben, daß die Behauptung Steiners, Matz sympathisiere
mit den italienischen Terroristen, falsch ist und der ganze
Bericht höchstwahrscheinlich auf einer Verwechslung beruht!
Die in dem von Mahlzahn genannten Bericht zitierte angebliche Aussage
Domaschk´s: „Wenn ich die Möglichkeit hätte...“
steht so wörtlich in meiner Akte9.
Einen anderen Bericht „Steiners“ an seinen Führungsoffizier vom 10. März, auf den Mahlzahn
abhebt, hatten weder Jürgen Fuchs noch ich in den Akten
gefunden. Um zur Klärung der Dinge beizutragen, stelle ich
hiermit den Stasiaktenauszug und die entsprechende Passage aus meinem
Buch ins Netz.
„Tonbandabschrift
IMS Klaus ´Steiner´ an Gen. Mähler, Jena,
23.3.1981“. OV „Opponent“, Bd. XII, Blatt 305
Ebenda
Blatt 305
Geschildert habe ich die Geschichte im Jenaer Kontext in meinem Buch wie folgt:
„Wie sich heute aus den Akten schlußfolgern läßt war im
Frühjahr 1981 nicht klar, ob wir nicht doch noch in den Knast
gehen würden. Gerade war Matthias Domaschk unter mysteriösen
Umständen in Stasihaft umgekommen. Die Beerdigung war eine
Demonstration, Stasileute drohten am Rande: Wehe es erscheint etwas
im Westen! Wir fuhren trotzdem nach Karlovy Vary, um ehemalige
Jenenser Freunde aus Westberlin zu treffen, gaben die Nachricht
weiter; auch über andere Kanäle lief es... Die Situation
war gespannt und nicht ungefährlich, wie wir heute wissen: Ein
Spitzel hatte Matthias schwer belastet und zu seiner Verhaftung
beigetragen. IM „Klaus Steiner“ alias Thomas Haßelmeier
beschuldigte ihn, mich als ´ideologischen Kopf´ einer
terroristischen Vereinigung nach dem Vorbild der italienischen ´Roten
Brigaden´ gewinnen zu wollen. Ich hätte aber von
marxistischen Positionen gegen den Terrorismus argumentiert –
mein Glück, aber Matthias war wenige Wochen später tot. Sie
waren auch wegen anderen Dingen hinter ihm her, z.B. seiner
Verbindung zu Peter Uhl von der Charta 77 in Prag. ´Steiner´
soll 500 Mark für den Bericht erhalten haben, damals für
manchen ein Monatslohn. Das Verrückteste ist, daß es sich
bei dem Bericht um ´Dichtung und Wahrheit´ handelt.
Nahezu alle Akten entsprechen den Tatsachen, die Stasi wollte sich
selbst nicht täuschen, überprüfte und ging überlegt
vor. Die Spitzel blieben bei Tatsachen, nur ´Steiner´
nicht. Er vermengte Dinge, wollte sich wohl wichtig machen. Matthias
Domaschk hat nicht versucht, mich zu gewinnen, er hatte auch keine
terroristischen Absichten. Und es war ein anderer Freund, der uns
beim Ausbau der Wohnung half, Matthias konnte gar nicht mauern...“10.
(Herv. SR)
Noch eine Anmerkung sei gestattet. IM „Klaus Steiner“ war
Bassist in der Rockgruppe „Kasuar“, in der ich
kurzfristig Rhytmusgitarre spielte und sang – bis die Stasi die
Jungs so einschüchterte, daß sie von mir, dem Staatsfeind,
abrückten. Dergleichen nannten sie „Organisierung
beruflicher und gesellschaftlicher Mißerfolge“. Aber das
erfuhr ich erst zehn Jahre später aus den Akten. Wir waren
„Kumpels“, ich konnte ihn, den farbigen Deutschen gut
leiden und empfand Mitgefühl für seine prekäre
Familiensituation. Wir linken DDR-Dissidenten liebten ja ohnehin
alles Exotische, die monokulturelle Gesellschaft der „größten
DDR der Welt“ war uns ein Gräuel. Vielleicht auch deshalb
habe ich ihn näher an mich ran gelassen als Andere. Aber er
schrieb auch in anderen Berichten blühenden Unsinn zusammen,
z.B. seine und meine Frau teilten ein Interesse fürs Nähen
– nichts konnte meine Tine weniger in der Schule leiden als
„Nadelarbeit“!
In den frühen 90er Jahren haben auch wir versucht, mit „Tommy“,
so sein Spitzname, zu reden. Wir fuhren zusammen mit Jenenser
Dissidenten-Freunden wie Gerold Hildebrand und Reinhard Klingenberg
zu ihm in sein Dörfchen bei Erfurt und besuchten ihn in seiner
Steinmetzwerkstatt. Er blockte total ab, übte das, was Jürgen
Fuchs „aggressives Schweigen“ genannt hatte, stand da mit
einem schweren Meißel in der Hand und hatte nur abweisende
Blicke für einen alten Kumpel – den er verraten hatte.
Woher hatte er eigentlich das Geld für sein privates
Unternehmen? Nein, so offen, wie es jetzt Claus Christian Mahlzahn
schildert, war er uns gegenüber nicht. Er half in keiner Weise
bei der Aufklärung des Todes unseres Freundes Matthias...
Ich habe damals, vielleicht aus Sorge um fremdenfeindliche Stimmungen in
der DDR-Region, über seinen Hintergrund nicht gesprochen oder
geschrieben, in meinem Buch 1996 jedoch, nach reiflicher Überlegung,
seinen vollen Namen genannt. Jeder Mensch muß zu dem stehen,
was er getan und gelassen hat, und die Wahrheit ist eben immer
konkret.
© Siegfried Reiprich
1„Tonbandabschrift IMS Klaus ´Steiner´ an Gen. Mähler, Jena,
23.3.1981“. OV „Opponent“, Bd. XII, Blatt 305-306
2„Matz“ - Spitzname von Matthias Domaschk in der Jenaer Dissidentenszene
3„geext“ - DDR-Szene-Slang für politische Zwangsexmatrikulation
4 Dem habe ich 1999 in dem Beitrag „Jürgen und Cyrano“für die Fachzeitschrift „Horch und Guck“widersprochen.
5 Siegfried Reiprich, Der verhinderte Dialog, Schriftenreihe des
Havemann-Archivs, Berlin 1996
6Auerbach, Neubert, Pietzsch , Es kann anders werden, Böhlau Verlag,
Weimar, Köln, Wien, 2006
7"Ihr sollt in unseren Tränen ersaufen"
8Unter anderem, damit die Stasi eine Wanze einbauen konnte, deren
Empfangsstation schräg gegenüber in einer Wohnung der
Familie des IM „Klaus Steiner“ untergebracht werden sollte.
9Siehe oben, OV „Opponent“, Bd. XII, Blatt 305-306
10Reiprich, Der verhinderte Dialog, S. 149 | Zurück zur Übersicht | |
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